Ich sitze bei fast 30 Grad im September in meinem Garten und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Wärme auf meiner Haut verursacht ein wenig Gänsehaut. Solange ich die Augen geschlossen habe, höre ich das Rascheln der Maisblätter im Feld neben mir. Ein beruhigender, unregelmäßiger Ton, manchmal lauter, manchmal leiser, aber er verschwindet niemals. Wenn ich die Augen öffne, muss ich blinzeln, weil das Hell des Sonnenlichtes mein Gehirn kurzfristig überfordert. Es dauert ein wenig, bis ich wieder scharf sehen kann.
Ich sehe dieses intensive Herbstblau des Himmels, das mit dem Gelbbraun der Felder und dem satten Grün der Bäume harmoniert. Ich sehe, wie die Farben der Äpfel stärker werden und sie in der Sonne glänzen.
Und wenn ich in das erfrischende Wasser im Pool steige, dann wird mein ganzer Körper wach und muss sich bewegen. Bewegungen, die einfach passieren, ohne großes Nachdenken. Ich tauche unter, die Kälte lässt mich frösteln und gleichzeitig will ich lachen und schreien, weil ich mich darin so lebendig fühle.
Ich denke an das Kinderbuch von Leo Lionni, das ich schon als Kind kannte und als Mama so oft vorgelesen habe. Ich fühle mich wie Frederick, die Maus, die sich nicht sichtbar an den Vorbereitungen für den Winter beteiligt.
Frederick – die Maus, die nicht arbeitet
„Frederick, warum arbeitest du nicht?“ fragten sie.
„Ich arbeite doch“, sagte Frederick, „ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.“
aus Frederick (Leo Lionni)
Während die Mäusefamilie Tag und Nacht daran arbeitet, ihren Wintervorrat einzulagern, sammelt Frederick statt Nüsse, Getreide und Samen lieber Sonnenstrahlen, Farben und Worte. Frederick sammelt das Glück des Sommers. Und obwohl seine Mäusefreunde zunächst skeptisch sind, ist Frederick derjenige, der ihnen mit all seinen gesammelten Schätzen durch den langen Winter hilft.
Denn sobald die Vorräte aufgebraucht sind, wollen die Mäuse im grauen kalten Winter nicht einmal mehr miteinander sprechen. Doch was ist mit Fredericks Vorräten?
Frederick zaubert mit seinen Geschichten Wärme und Farben in das Wintergrau und schenkt damit seinen Mäusefreunden Trost und Freude.
Leo Lionni gelingt es, den schwelenden Konflikt zwischen den Mäusen zwar sichtbar zu machen, aber ihn nicht zum vorrangigen Thema zu machen. Denn durch Fredericks Stärke, sich bei seiner Arbeit nicht stören zu lassen, bekommt der Konflikt einfach keinen Raum. Frederick ist selbstbewusst bei der Sache, widerspricht den skeptisch fragenden Kollegen und scheint genau zu wissen, was er zu den Wintervorbereitungen beitragen kann.
Frederick’s Kunst zu erzählen, zu dichten und Stimmungen zu erzeugen bekommt auf den letzten Seiten des Bilderbuches eine besondere Wertschätzung. Mit bunten und ausdrucksstarken Bildern erzählt Lionni von der Wirksamkeit der Erzählkunst.
persönliche Altersempfehlung
Die allgemeinen Altersempfehlungen erstreckt sich in den meisten Fällen zwischen 3 und 7 Jahren. Meiner Erfahrung nach macht die einfache Sprache „Frederick“ auch für jüngere Kinder zugänglich.
Die Botschaft über Kreativität, Individualität und die Bedeutung von Kunst und Geschichten kann für ältere Kinder immer noch ansprechend und relevant sein. Die Geschichte von „Frederick“ bietet eine wunderbare Diskussionsgrundlage für Familien, Kindergärten bis hin zur Grundschule.
Ich schätze vor allem die ausdrucksstarken Illustrationen des Bilderbuches. Sie sind nicht überladen, sondern konzentrieren sich auf das Wesentliche. Mit einfachen Linien, Formen und Farben gelingt es Leo Lionni, Stimmungen einzufangen, die auch schon Kinder ab zwei Jahren verstehen und begeistern können.
Frederick – ein persönliches Fazit
Die Botschaft des Buches ist zeitlos. Das Bilderbuch ist eine Hommage an die Individualität des Einzelnen in einer Gemeinschaft. Immer noch bewegen wir uns in einer Welt, in der wir unterschiedliche Begabungen oder Handlungen bewerten. In der Menschen vorgefertigte Vorstellungen von Leistung haben und sie tagtäglich beurteilen. In einer Welt, in der nicht messbare Aktivität kaum wertgeschätzt wird.
Doch wie messbar ist Leistung und wer entscheidet, welche Leistung wichtiger für eine Gesellschaft ist?
Ich selbst ertappe mich noch oft dabei, das Gefühl zu haben, NICHTS zu tun. Nichts Tun fällt uns deshalb so schwer, weil wir noch nicht gelernt haben, dass NICHTS TUN nicht NICHTS TUN ist. Das NICHTS ist so VIEL. Es ist heilsam, den Moment zu genießen, zu staunen und im Hier und Jetzt zu sein. Alle Eindrücke aufzusaugen, wie ein Schwamm, damit ich später davon zehren kann.
Frederick ist der Dichter, der Künstler, der Erzähler, der Maler. Derjenige, der Freude und Lachen bringt. Der uns staunen lässt und uns Achtsamkeit lehrt. Der das Leben reicher und erfüllender gestaltet. Der über das reine Überleben hinaus agiert und uns mehr von der Welt zeigt, als wir vielleicht sehen können.
Eine Gesellschaft braucht den Geschichten erzählenden Frederick genauso, wie die Mäuschen, die sich der physischen Beschaffung von Ressourcen widmen.
„Mama! Nur noch 9 Tage bis Weihnachten!“ Felix klebt gerade den fünfzehnten Stern an die Wand. Jeden Tag kommt ein neuer dazu. Mit seiner Schwester Anna wechselt er sich ab. Anna kommt an den geraden Tagen dran, Felix an den ungeraden. Das machen sie jedes Jahr so.
„Bis Weihnachten werden es 24 sein“, denkt er. „Aber wie soll sich das alles bloß ausgehen?“
Mama liegt immer noch unbeweglich auf der Couch. Vor einer Woche ist sie auf dem Glatteis ausgerutscht und hat sich den Fuß gebrochen. Was war das für eine Aufregung!
Die Rettung kam und hat Mama gleich einmal mitgenommen. Im Krankenhaus wurde ihr Fuß fast komplett eingegipst. Und jetzt kann sie nur auf einem Bein humpeln.
„Mama, es ist höchste Zeit, Kekse zu backen!“
„Ja, aber wie soll ich denn das machen? Ich kann doch nicht stundenlang auf einem Bein stehen und Kekse backen. Ich fürchte, wir werden einfach ohne Kekse Weihnachten feiern.“
„Weihnachten ohne Kekse?“ Felix muss nachdenken.
„Aber Mama, wie stellst du dir das denn vor?“ fragt Anna. „Wenn Oma und Opa da sind, die Kerzen am Tannenbaum brennen und wir die Geschenke auspacken. Was sollen wir denn dann essen? Nein. Das ist unmöglich. Wir brauchen Vanillekipferl und Topfenkipferl. Dann werde ich eben selbst Kekse backen. Felix hilft mir bestimmt, oder?“
Und ob Felix wollte. So schnell der Entschluss gefasst war, so schnell düsen die Geschwister in die Küche und machen sich an die Arbeit.
„Aber halt!! So geht das nicht!“ ruft Mama. „Ihr könnt das doch nicht alleine machen!“
„Geh´ Mama – wir schaffen das schon!“ ruft Felix, der gerade die Butter aus dem Kühlschrank holt.
„Wartet wenigstens, bis ich die Oma angerufen habe. Die kann euch bestimmt beim Backen helfen!“, ruft Mama und greift zum Telefon.
„Du, Oma, die Kinder wollen ganz alleine Kekse backen. Und ich kann ihnen nicht dabei helfen! Sie fangen schon ganz von alleine an. Erstens ist das zu gefährlich und zweitens, ach du meine Güte! Was glaubst du, wie sie die Küche hinterlassen werden! Und ich kann das ja auch gar nicht putzen hinterher!“ Mama klingt verzweifelt.
Leider kann die Oma aber nicht kommen. Denn die ist sehr beschäftigt. Sie muss putzen und Geschenke besorgen, vorkochen und die Tante Luise besuchen. Und zum Friseur will sie auch noch. Heute hat sie keine Zeit zu kommen. Erst am Wochenende. Und dann leider nur eine Stunde am Nachmittag.
„Aber weißt du was, ich schick den Opa, der hat nämlich eh nix zu tun!“ sagt die Oma.
Während Felix im Kochbuch nach dem passenden Kekserezept sucht, richtet Anna schon mal alles her: Mehl, Zucker, Eier, geriebene Haselnüsse und natürlich die Butter. Sie holt den Nudelwalker aus der Lade unter dem Herd und bereitet das Backpapier vor.
„Und? Wie geht´s jetzt los?“ fragt Anna Felix.
„Erst brauchen wir noch ein Rezept. Ich suche noch das Rezept mit den Vanillekipferl. Aber ich finde es nicht.“ Er blättert weiter in dem dicken Rezeptbuch.
„Dann machen wir eben Topfenkipferl. Das Rezept kenne ich auswendig. Dazu brauchen wir einen Ziegel Butter, ein Packerl Topfen und 250 Gramm Mehl.“
Während Anna schon einmal die Butter auspackt, kommt Opa bei der Türe herein. Er hat weißes Haar, das Anna schon einige Male frisiert hat. Und er zieht niemals seine Schuhe aus. Auch nicht in der Küche.
„Hallo Opa! Magst du auch Kekse backen?“ fragt Felix.
„Hmm, na ich weiß nicht. Ich esse sie lieber. Ich setz´ mich einfach hier auf den Sessel und schau euch zu.“
„Okay, aber du darfst auch Kipferl machen, wenn der Teig fertig ist!“
Felix blättert immer noch im Kochbuch. „Opa, kannst du mir sagen, wo ich das Rezept für die Vanillekipferl finde? Denn die brauchen wir unbedingt zu Weihnachten!“
„Jaja, was wäre Weihnachten ohne Vanillekipferl?“ Opa findet das Rezept ganz schnell und zeigt es Felix.
Anna und Felix sind sehr beschäftigt. Sie wiegen die Zutaten ab und kneten sie zu einem festen Teig. „So, jetzt muss der Teig rasten!“ sagt Felix und stellt ihn in den Kühlschrank.
„Und was machen wir solange?“ fragt Anna.
Opa holt die Gitarre aus dem Wohnzimmer und setzt sich zum Küchentisch. „Ich schlage vor, wir singen ein paar Lieder, bis der Teig wieder munter ist.“
Anna und Felix hören Opa gerne zu, wenn er auf der Gitarre spielt. Gemeinsam singen sie alle Weihnachtslieder, die sie kennen. „Oh, Tannenbaum“ und „Schneeflöckchen, Weißröckchen“, „Ihr Kinderlein kommet“ und „die Wi-Wa-Weihnachtsmaus“. Natürlich auch „die Weihnachtsbäckerei“. Anna wünscht sich von Opa noch das Nikolauslied, das sie sie so gerne mag, obwohl der Nikolaus schon da war.
„Das macht nichts,“ sagt Opa. „Nikolauslieder kann man das ganze Jahr über singen.“
Danach holen die Kinder die beiden Teige aus dem Kühlschrank. Anna walkt ihren Topfenteig aus und Felix beginnt, die Vanillekipferl zu formen. Nur leider ist das gar nicht so einfach.
„Mama! Der Teig will gar kein Kipferl werden! Er zerbricht dauernd!“ ruft Felix.
Anna schaut ihren ausgerollten Teig an und ruft: „Mama! Wie geht das nochmal mit den Topfenkipferl?“
Mama seufzt und denkt: „Ich hab´ gewusst, dass das ein Chaos wird!“
Da steht der Opa auf und sagt: „Warum müssen es denn eigentlich immer Kipferl sein? Wer sagt denn, dass es nicht auch Kugeln sein dürfen?“
Opa nimmt eine Handvoll Teig, knetet ihn ein wenig und rollt daraus eine lange Schlange. Dann schneidet er ein kleines Stück mit dem Messer ab und rollt den Teig in seinen Händen wie Plastilin zu einer Kugel.
Felix findet das sehr interessant. Er macht es wie Opa und in Windeseile entstehen lauter kleine Vanillekugerl. Aus der Schlange formt Felix dann doch noch Kipferl, Stangen und sogar Brezel.
„Und hier? Weißt du, vielleicht kann man einfach Kekse aus dem Teig ausstechen?“ fragt Opa Anna.
Anna holt daraufhin die Keksausstecher aus der Lade. „Das ist wahrscheinlich einfacher, aber es werden halt keine Kipferl.“
Opa findet eine sehr große runde Ausstechform. „Und was wäre, wenn aus den Kipferl einfach Taschen werden?“ Opa sticht einen großen Kreis aus dem Teig aus.
„Womit möchtest du die Taschen füllen?“ fragt er Anna.
„Marillenmarmelade! Da oben im Kasterl sollte es noch ganz viel davon geben.“ Anna steigt auf das Holzstockerl und holt ein Glas von der guten Marmelade, die Mama im Sommer gemacht hat.
Opa öffnet das Glas und Anna kleckst die Marmelade mit einem Löffel mitten auf den großen Kreiskeks. Dann legt sie den Kreis in der Mitte zusammen und drückt die Enden mit dem Finger fest. Auf der Seite quillt die Marmelade wieder raus.
„Hmm, das schaut sehr lecker aus.“ Meint Opa und sticht einige Herzen und Sterne aus dem Teig aus.
Felix schiebt inzwischen seine Kekse in den Ofen. „Wie lange dauert das jetzt?“
„Ich würde sagen, bis es gut riecht“, antwortet Anna und kümmert sich weiter um ihre Marmeladenkleckse.
„Ich habe gar nicht gewusst, dass Kekse backen so viel Spaß macht!“ sagt Opa. „Als ich ein Kind war, durfte ich meiner Mama niemals in der Küche helfen. Die hat mich immer weggeschickt. Ich glaube, ich werde noch zum Weihnachtsbäcker, so wie ihr!“
Während Felix seine fertigen Kugeln, Kipferl, Stangerl und Brezerl mit Vanillezucker bestreut, schiebt Anna ihre Taschen und Kekse in den Ofen.
„Opa! Wie schaut´s denn da aus? Mit deinen Schuhen verteilst du das ganze Mehl in der Küche!“
Opa schaut auf seine Schuhe. Tatsächlich klebt daran überall Mehl. „Aber schau DICH doch mal an! Du hast Mehl am Bauch, an den Händen und auf deiner Hose!“
Felix lacht. „Ja, so ist das eben beim Kekse Backen“, sagt Anna. „Und schau mal, Felix hat Teig im Gesicht und sogar in den Haaren!“ Jetzt müssen alle lachen. Das Mehl und der Teig haben sich in der Küche ausgebreitet.
„Am besten, wir machen das gemeinsam sauber“, meint Felix. „Anna, hol du einen Putzlappen und Opa, du holst einen Besen!“
„Und was machst du?“ fragt Anna.
„Ich wasche ab“, antwortet Felix. Damit war Anna einverstanden.
Während Opa das Mehl vom Boden kehrt, wischt Anna die Arbeitsfläche sauber und hilft Felix beim Abtrocknen.
„Hmm, ich weiß nicht, aber hier im Wohnzimmer kann ich die Kekse schon sehr gut riechen. Seid ihr sicher, dass die Kekse nicht schon zu lange im Ofen sind?“, ruft Mama vom Wohnzimmer in die Küche.
„Au weia, meine Kekse!“ Ganz schnell holt Anna ihre Kekse aus dem Ofen. Gerade noch rechtzeitig. Schön goldbraun sind sie geworden, die Kekse und Taschen, aus denen die Marillenmarmelade hervorquillt.
Felix holt den Teller mit den goldenen Sternen aus dem Schrank und legt dort Topfentaschen, Vanillekugeln und Kekse drauf. Zu dritt gehen sie damit zu Mama ins Wohnzimmer.
250 Gramm Butter, Mehl und Topfen
„So“, sagt Anna: „Hier ein paar Kekse für dich, Mama. Das sind nämlich auch Gesundheitskekse, damit es dir schnell wieder besser geht. Aber nicht alles auf einmal aufessen, sonst ist ja zu Weihnachten nichts mehr da.“
Mama steckt eine Marmeladetasche in den Mund. „Wow, die sind ja lecker! Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bis Weihnachten halten. Ich glaube, da müsst ihr wohl noch einmal backen.“
„Kein Problem, Mama. Wir haben ja den Opa. Der ist jetzt nämlich auch ein Weihnachtsbäcker.“
„Weißt du, was Langeweile ist?“ fragte die Butter den Gemüseaufstrich.
„Langeweile? Ha, das kenne ich nicht. Mindestens dreimal am Tag werde ich rausgeholt und siehst du ja, ich werde immer weniger! Es ist wunderbar, so lecker zu sein und jedem zu schmecken!“ antwortete der Gemüseaufstrich und lachte überheblich.
„Du bist einfach nur blöd!“ sagte die Butter. Seit der Gemüseaufstrich im Kühlschrank wohnte, kümmerte sich keiner mehr um sie. Hoffentlich war er bald aufgegessen, damit Franziska und ihre Eltern wieder mehr Lust auf Butter hatten.
„Also ich weiß gut, was Langeweile ist!“ meinte die Karotte. „Ich lieg hier schon mindestens 17 Tage herum. Ich würde gerne noch was erleben, bevor ich komplett verschrumple!“
„Dann lass uns doch zusammen was unternehmen!“ schlug die Butter der Karotte vor. „Ich würde gerne mal in den Garten gehen und ein bisschen schwimmen gehen. Franziska hat schon so oft vom Schwimmbecken gesprochen. Ich will es endlich auch mal ausprobieren.“
Die Marmelade stupste den Senf an und flüsterte ihm zu: „Hast du gehört, was die vorhaben? Wie findest du das?“ Aber den Senf kümmerte das alles nicht.
Die Karotte überlegte nicht lange. Sie wanderte zur Kühlschranktüre und sah zur Butter hinauf, die auf dem obersten Regal stand. „Na dann mal los! Komm runter!“
Die Butter ließ sich von ihrem Regal plumpsen, bis sie ganz unten angelangt war. Es war nicht einfach, die Kühlschranktüre zu öffnen. Mit aller Kraft stießen sie fünfmal dagegen, bis sie endlich aufging. „Ruhe da!“ schimpfte die Zucchini in der Gemüselade.
Franziska wurde von dem Lärm wach. „Mama?“ fragte sie in die dunkle Nacht hinein. Mama lag neben ihr und schlief. „Papa?“ Papa lag auf der anderen Seite und schnarchte. „Was war denn das für ein Lärm?“ flüsterte sie ihrem Teddy zu und horchte auf weitere Geräusche.
„Weißt du, so genau habe ich das Haus noch nie betrachtet. Irgendwie bin ich noch nie aus der Küche herausgekommen.“ erzählte die Butter der Karotte.
„Ich schon, ich bin im Garten geboren!“ erzählte die Karotte stolz. Wenn du magst, kann ich dir mein Beet zeigen. Es steht gleich neben dem Schwimmbecken!“
„Warum bist du wach, Liebes?“ fragte Papa Franziska. „Kannst du nicht schlafen?“
„Ich bin wach geworden, weil die Butter und die Karotte vom Kühlschrank ausgebüxt sind, Papa! Sie wollen einen Ausflug in den Garten machen.“
„Ach so“ antwortete Papa und gähnte. „Komm, leg dich zu mir her, dann schlafen wir weiter.“
„Aber Papa, sollten wir nicht nachsehen und sie aufhalten?“
„Nein nein, morgen früh sind sie bestimmt zurück.“
Franziska legte sich in Papas Arme und sie schliefen wieder ein.
Die Butter und die Karotte waren bereits bei der Eingangstüre angekommen, schlüpften durch die Katzenklappe und schon waren sie draußen. Der Mond schien hell, es war noch warm und tausend Grillen zirpten durch die Nacht.
„Komm, ich zeige dir mein Beet!“ rief die Karotte und lief in den Garten. Die Butter blieb noch ein bisschen stehen und betrachtete die Sterne.
„Komm schon, glaubst du, ich warte ewig auf dich?“ Die Karotte rief noch einmal nach ihr und lachte. Sie hüpfte im Gras herum, lief im Kreis und machte einen Purzelbaum.
Die Butter aber ging ganz langsam durch das Gras zum Gemüsebeet. Sie bestaunte die schöne Musik, die von den Grillen kam, schnupperte am feuchten Gras und betrachtete die Gänseblümchen. Als sie endlich beim Gemüsebeet ankam, wartete die Karotte bereits ungeduldig auf sie.
„Also: hier bin ich geboren!“ Mit stolz geschwellter Brust zeigte die Karotte auf den Platz im Gemüsebeet, wo alle Karotten wuchsen. „Hier sind auch meine Geschwister.“ Die Butter suchte den Platz ab, aber alles, was sie sehen konnte, war grünes Kraut. „Wo sind sie denn?“ fragte sie die Karotte. „Na, da unten, in der Erde. Da drin wachsen sie.“
„Ach so“ antwortete die Butter. „Aber jetzt will ich endlich schwimmen gehen!“
Sie lief hinüber zum Schwimmbecken und hüpfte ohne zu überlegen ins Wasser hinein. Kurz tauchte sie unter, aber das Wasser hob sie sanft wieder auf die Oberfläche, wo sie still vor sich her schwamm. Dabei betrachtete sie die Sterne am Himmel, lauschte der Musik der Grillen und genoss die Wärme des Wassers.
Doch etwas Komisches passierte mit ihr. Es kam ihr vor, als wurde sie immer schmäler, nein, doch breiter, oder hallo, vielleicht etwas kleiner? „Was geschieht mit mir? Ich fühle mich irgendwie so schwummerig und flüssig wie das Wasser unter mir.“
„Du schmilzt!“ rief die Karotte. „Du solltest schleunigst raus aus dem Wasser!“
Die Karotte lief zum Gemüsebeet, zerrte an einer Gurke bis sie zu Boden fiel und sagte: „Du musst der Butter aus dem Schwimmbecken helfen. Sofort! Ich hole Hilfe aus dem Haus!“ Sie lief so schnell sie konnte.
Die Gurke legte sich unterdessen an den Rand des Schwimmbeckens und versuchte, der Butter aus dem Wasser zu helfen.
Im Haus angekommen, war die Karotte komplett außer Atem. Sie musste viermal tief Luft holen, bevor sie wieder etwas sagen konnte. „Hey, Brot, wir brauchen dich! Die Butter war schwimmen und jetzt wird sie immer weicher und weicher!“ rief sie auf dem Weg in die Küche.
Franziska wurde wieder wach und setzte sich im Bett auf. „Papa? – Jemand braucht dringend Hilfe!“ Doch der Papa schlief und schnarchte laut.
Das Brot allerdings hörte den Hilfeschrei der Karotte und hüpfte sofort aus seinem Korb. „Allzeit bereit!“ rief das Brot und folgte ihr hinaus in den Garten, wo die Gurke gerade damit beschäftigt war, der Butter aus dem Wasser zu helfen.
„Nur noch ein kleines Stück!“ sagte die Gurke und zog die weiche Butter aus dem Wasser. Das Brot legte sich an den Rand des Schwimmbeckens und sagte: „Komm, ich trag dich nach Hause!“
„Kannst du mich auch noch tragen? Ich bin fix und fertig!“ sagte die Gurke.
„Ich auch!“ meinte die Karotte, immer noch schnaufend.
„Aber sicher doch“ antwortete das Brot.
Die Gurke und die Karotte legten sich nebeneinander auf die Butter. Das Brot trug sie ins Haus bis auf den Küchentisch. Dort schlief auch das Brot ein
„Papa!“ Jetzt flüsterte Franziska nicht mehr. Sie rüttelte an ihrem Papa, bis er endlich aufwachte.
„Was gibt es denn, Liebes?“ fragte er. „Papa, die Butter braucht Hilfe! Sie war schwimmen und nun ist sie geschmolzen!“
„Ach so?“ fragte Papa nach. „Und woher weißt du das so genau?“
„Die Karotte hat es gesagt.“
„Na dann werde ich der Butter mal zur Hilfe eilen.“
Papa ging hinunter in die Küche, blickte nach links und nach rechts. Der Mond schien hell durch das Fenster direkt auf den Küchentisch.
„Mhhmm, wie lecker!“ dachte Papa. Er nahm das Gurken-Karotten-Butterbrot in die Hand und biss herzhaft hinein. „Es geht doch nichts über ein wirklich gutes Butterbrot“ dachte er, aß das Brot auf und ging wieder ins Schlafzimmer.
„Und, was ist jetzt mit der Butter?“ fragte Franziska.
„Alles wunderbar! Die Butter ist immer noch super lecker und seidig geschmeidig. Nur das Salz könnten sie beim nächsten Ausflug mitnehmen!“
„Endlich fertig!“ Susi stellte ihre gehäkelten Vögelchen in das Regal im Flur, in dem auch schon viele andere Tiere standen. Eine Katze, eine Giraffe, ein Hund und noch viel mehr! Susis Lieblingsbeschäftigung war es nämlich, kleine süße Kuscheltiere zu häkeln.
Da saßen sie nun. Alle fünf, fein säuberlich, Schulter an Schulter.
Susi war stolz auf ihre Vögelchen. Sie hatten brav alle Fotoshootings mitgemacht und kaum gemeckert. Und während sie ihre Tierchen betrachtete, hatte sie schon eine neue Idee: “Heute fange ich einfach mal mit einer weißen Wolle an, mal schauen, was es diesmal werden wird.“ Susi setzte sich also auf ihr Lieblingssofa, kuschelte sich in ihre warme Decke, nahm die weiße Wolle und eine Häkelnadel zur Hand und begann, die ersten Luftmaschen zu zaubern.
Die fünf Vögel saßen immer noch brav in ihrem Regal und warteten. „Worauf warten wir eigentlich?“ fragte Flora. „Ja, was genau sollen wir jetzt machen?“ fragte Eddie. „Mir ist schon ein bisschen kribbelig, ich müsste mal meine Flügel ausschütteln“ meinte Willi. „Jetzt wartet noch ein bisschen“ versuchte Arnold seine Crew zu beruhigen. „Susi hat bestimmt bald eine Aufgabe für uns.“ „Dann erzähl´ uns wenigstens eine Geschichte bis Susi wieder kommt!“ bat Euphora. „Okay, also, ähm, naja, also…es war einmal…ähem…eine…naja, eine…so eine…dingsbums…, nein, nein, nein,“ Arnold schüttelte seinen Kopf wild hin und her. „Ich bin doch nicht hier zum Geschichten Erzählen!“ Er streckte seine Brust heraus und hob stolz seinen Kopf: „Ich habe Adleraugen und bin sehr aufmerksam. Ich bin ein wachsamer Kerl mit einem großen Herz. Ich brauche eine sehr wichtige Aufgabe!“ „Also findest du, dass Geschichten Erzählen nicht wichtig ist, oder wie?“ fragte Euphora empört. „Also ich mag deine Geschichten, Euphora. Und du, Arnold, du solltest nicht so überheblich sein. Lasst uns doch friedlich sein.“ Das hätte Willi nicht sagen sollen. Eddie bekam einen Lachkrampf, Arnold wurde rot vor Wut. Euphora drehte sich in die andere Richtung und sah Flora an. „Ich halte mich da raus, mir ist alles egal. Ich hab schon Kopfweh vor lauter Langeweile.“
So ging das den ganzen Abend weiter. Die fünf Freunde stritten, bis sie sich irgendwann nichts mehr zu sagen hatten. Da saßen sie also wieder und langweilten sich zu Tode.
Vor dem Schlafengehen kam Susi mit Anna am Kuscheltierregal vorbei. Anna stellte sich auf ihre Zehenspitzen, gab jedem Tierchen einen Kuss und sagte „Gute Nacht“. Einige Kuscheltiere murmelten ein „Gute Nacht, Anna!“ zurück. Die Katze gähnte, legte sich hin und schlief gleich ein. Bald darauf schliefen auch die Giraffe und der Hund ein.
Als Anna zu Arnold kam flüsterte sie ihm ins Ohr: „Kannst du bitte in der Nacht auf meine Einhörner aufpassen? Die spielen immer so wild und ich will nicht, dass sich eines verletzt!“ Sobald das Licht abgedreht war, machte sich Arnold auf den Weg ins Kinderzimmer. „Gute Nacht allerseits, ich muss jetzt leider einen wichtigen Auftrag erledigen!“ verabschiedete sich Arnold sehr wichtig von seinen Freunden.
„Und was genau sollen WIR jetzt machen?“ fragte Eddie in die Runde.
„Also, ich geh` lesen!“ meinte Euphora und verkrümelte sich im Buchregal.
„Ich nehme ein Bad!“ antwortete Flora und wanderte ins Badezimmer.
„Ich bin mal kurz weg!“ rief Willi und flog zum Fenster raus.
„Okay, dann mix ich mir einen Cocktail!“ freute sich Eddi und machte sich auf den Weg zum Kühlschrank.
Kannst dir jetzt schon denken, was da passiert ist? Na gut, ich erzähl es dir ganz genau: Als Susi am nächsten Morgen aufstand und auf dem Weg in die Küche beim Badezimmer vorbeikam, blieb sie kurz stehen. Sie drehte sich einmal im Kreis, sah nach rechts und links und dachte bei sich: „Irgendetwas stimmt hier nicht.“ Dann blickte sie sich noch einmal um, ging einen Schritt weiter und jetzt spürte sie es: Der Boden vor dem Badezimmer war pitschnass. (So, wie ihre Zehen!) Jetzt konnte Susi sogar die kleinen Wasserlacken auf dem Flur sehen. Sie öffnete die Badezimmertüre und blieb erschrocken stehen. Die Badewanne war so vollgefüllt, dass das Wasser über den Rand lief.
Susi ging weiter. Im Wohnzimmer sah sie all ihre geliebten Bücher auf dem Boden liegen. Manche waren aufgeschlagen, andere aufgestapelt. Das Buchregal aber war so gut wie leer und Susis Ordnung dahin. Da schlug die Hände zusammen und rief: „Ach, du meine Güte! Wie schaut´s denn da aus? Anna? Hast du etwas mit diesem Chaos zu tun? Denn wenn ja, dann musst du es auch wieder in Ordnung bringen!“ rief sie. „Was ist los, Mama?“ fragte Anna, die gerade aufgestanden ist. „Ja schau dir doch mal an, wie es hier ausschaut! Hast du etwa in der Nacht gebadet?“ „Also ich war das nicht. Ich hab´ geschlafen, so wie du hoffentlich auch!“
In der Küche sah es nicht viel anders aus: Die Kühlschranktüre stand sperrangelweit offen, die Gemüselade war herausgeschoben und am Boden lagen Salatblätter und Tomaten. Auch ein Ei hatte es erwischt. Die Butterdose war gerade noch so davongekommen.
Ein Blick aus dem Fenster verriet Susi, dass jemand im Kräuterbeet gewühlt hat. „Wer hat bloß so ein Chaos veranstaltet?“ wunderte sich Susi und begann, den Kühlschrank wieder einzuräumen und den Boden sauber zu machen.
Währenddessen ging Anna zum Regal mit den gehäkelten Kuscheltieren. (Die heißen übrigens AMIGURUMI – kannst du das sagen?) Dort saßen sie alle. Die Katze, der Hund, die Giraffe, alle. Auch die Vogelcrew saß dort. Fein säuberlich, Schulter an Schulter.
„Arnold, hast du auf meine Einhörner aufgepasst?“ „Ja, Prinzessin, alles in Ordnung!“ antwortete Arnold. „Und ihr so? Was habt ihr in der Nacht gemacht?“ fragte sie die anderen Kuscheltiere. Keiner antwortete.
Euphora gähnte und schloss die Augen. Eddie rülpste. Willi schüttelte seine mit Erde verklebten Flügel aus. Flora tropfte.
„Wieso bist du nass, Flora?“ fragte Anna. – „Na, weil ich gebadet habe.“ „Aha“ sagte Anna. „Mama, komm einmal!“ rief sie. „Ich glaube, ich weiß, wer das Chaos angerichtet hat!“
„Ich habe gestern Abend Arnold gebeten, nachts auf meine Einhörner aufzupassen. Währenddessen hat Flora in der Badewanne gebadet. Ich habe gesehen, dass sie nass ist. Und hier, siehst du, hier kann man ihre nassen Fußspuren sehen!“ Anna zeigte auf die nassen Flecken im Regal. „Und ich glaube, dass Eddie den Kühlschrank geplündert hat, denn er hat gerade ganz laut gerülpst. Und vermutlich hat Euphora die ganze Nacht mit deinen Büchern verbracht, denn jetzt ist sie ganz müde, siehst du?“
Susi war erst einmal sprachlos. Sie hatte so viele Fragen im Kopf. Wieso machten sie so etwas? „Aber ihr seid doch in erster Linie Kuscheltiere. Sollten Kuscheltiere nicht einfach im Regal sitzen und warten, bis sie zum Spielen geholt werden?“ (Was meinst du dazu?)
„Warten. Warten. Warten.“ äffte Eddie Susi nach. Jetzt redeten alle gleichzeitig: „Nix da warten“ (Flora) – „Ausgewartet!“ (Willi) – „Wer wartet, der altert!“ (Euphora)
„Okay, okay, okay.“ Susi stoppte die aufgeregte Vogelcrew mit einem Handzeichen. „Anna, vielen Dank, dass du diesen Chaos-Fall aufgeklärt hast. Ihr sehe, seid sehr aufgebracht. Ich denke, wir sollten alle mal in Ruhe miteinander reden. Einer nach dem anderen, okay?“
Arnold ergriff als erster das Wort. Während er sprach, ging er ein paar Schritte: „Susi“ begann er „du hast uns so schön gemacht. Aber weißt du, ich denke, also ich meine, ICH brauche eine Aufgabe. Erst waren da die Freunde, die du mir gemacht hast. Da konnte ich dabei sein und dir sagen, was mir gefällt. Dann waren da die spannenden Fotoshootings. Tja, und dann…naja, und dann warst du wieder mit der Wolle beschäftigt und wir haben im Regal gewartet. Und warten ist eben mega-laaaangweilig!“
„Also mir ist es eindeutig zu warm hier im Regal.“ warf Eddie ein. „Ich muss einfach hin und wieder fliegen und nach schönen Blumen Ausschau halten.“ meinte Willi. „Und ich brauche Wasser. Wasser und hmm, naja, Wasser eben“ sagte Flora. „Also ich brauche nur ein paar Bücher zur Inspiration für meine Geschichten“ rief Euphora dazwischen.
Susi rieb sich mit beiden Händen einmal über das Gesicht und staunte: „Das habe ich ja noch nie erlebt. Also gut, ich lasse mir etwas einfallen.“
Als Susi mit Anna beim Frühstück saß, seufzte sie laut. „Ich hab´ einfach null Idee, wie ich diese Vögel beschäftigen kann.“ „Mama, was hältst du davon, wenn ich sie mit in den Kindergarten nehme? Dort könnte Arnold helfen, auf die Kinder aufzupassen. Euphora könnte ihre Geschichten erzählen und es gibt viele Bücher dort. Willi kann dort Blumen basteln und sich ums Blumenbeet kümmern. Hmm, Eddie,…für Eddie und Flora finden wir bestimmt auch eine Beschäftigung.“ „Oh, das ist ja eine wunderbare Idee, Anna! Am besten fragen wir sie mal, was sie davon halten!“
Und so kam es, dass Anna die ganze Vogelcrew in ihren Rucksack packte und mit in den Kindergarten nahm. Arnold war begeistert. Endlich konnte er herumfliegen und mit seinen Adleraugen auf die vielen Kinder aufpassen. Willi kümmerte sich mit Begeisterung um das Blumenbeet und rupfte Unkraut aus. Euphora las den Kindern Geschichten vor.
Du fragst dich bestimmt, welche Aufgabe Eddie und Flora gefunden haben, oder? Ich verrate es dir: Eddies liebster Platz war die Sandkiste. Dort war es schön kühl und außerdem war dort immer was los. Flora verbrachte den ganzen Vormittag beim Wassertisch im Garten. Den Schminktisch und den Frisiertisch hatte sie noch gar nicht entdeckt.
Als Susi die Vogelcrew nach dem Kindergarten ins Regal stellte, waren sie alle supermüde. Eddie schlief sofort ein, Euphora fielen auch schon die Augen zu. Flora streckte gemütlich ihre langen Beine aus und Eddie gähnte. „Dürfen wir morgen wieder mit in den Kindergarten?“ fragte Arnold mit letzter Kraft. „Aber sicher doch.“ antwortete Susi und lächelte.
Rosa und Berta leben im Storchennest. Das Storchennest ist ein Ort, an dem viele kleine und große Menschen ihre Vormittage verbringen. Das Storchennest hat auch ein richtiges Storchennest am Rauchfang, aber da wohnt kein Storch drin. Im Garten gibt es zwei Türen, die fest verriegelt sind, damit die Kinder nicht davonlaufen können. Oder die Hühner. Nur sehr große Menschen können die Riegel problemlos öffnen.
Jeden Morgen sitzen Rosa und Berta auf dem Geländer vor dem Kellerabgang. Dort putzen sie ihr Gefieder und schauen den Kindern beim Spielen zu.
Sie freuen sich jeden Tag darauf, dass die Kinder endlich zum Spielen in den Garten kommen. Denn dann kann es sein, dass sie was von ihren Jausenbroten abkriegen. Die besten Brote haben die Burschen, die so gerne Fußball spielen. Da gibt´s manchmal auch Gurke oder Karotte dazu.
Doch die Vormittage vergehen immer sehr schnell für Rosa. Und dann, wenn das letzte Kind aus dem Tor gegangen ist, wird es ruhig im Storchennest. Dann sagt Berta jedes Mal: „Endlich herrscht hier wieder Ruhe! Wenn alle Kinder draußen spielen, wird mir das echt zu viel!“
Doch Rosa findet das nicht. „Ich finde das langweilig, wenn alle Kinder nach Hause gegangen sind. Dann ist es mir einfach zu still.“ Seufzend hockt sich Rosa ins Gras und schaut beim großen Gittertor hinaus.
Auf der Straße fährt ein Auto vorbei, ein Mann geht mit seinem Hund spazieren und Kinder haben in der Allee hinter dem Tor einen Verkaufsstand aufgebaut.
„Ach, so gerne möchte ich mal da raus gehen. Schau mal, Berta, da draußen sind Kinder!“ „Du willst was, bitteschön?“ fragt Berta ganz empört. „Na, da raus will ich gehen, ein bisschen spazieren, wie dieser Mann da. Es schaut so interessant aus. Die Kinder da draußen haben bestimmt auch was Leckeres zum Essen dabei!“
Berta schüttelt den Kopf und läuft ganz aufgeregt neben Rosa umher. „Nein, nein, nein, das darfst du nicht, auf keinen Fall, nein! Das ist viiiieeel zu gefährlich!“
Ganz leise, so, dass Berta sie nicht hören kann, antwortet sie darauf: „Du wirst schon sehen, eines Tages werde ich da raus gehen. Eines Tages wird jemand die Türe offenlassen und dann geh ich spazieren!“
Und weißt du was? Das ist tatsächlich passiert!
An einem sehr warmen Tag im April vergisst tatsächlich jemand, den Riegel zuzumachen und das Tor zur Wiese steht sperrangelweit offen! Und davor steht sie nun, die Rosa, die schon so oft gesagt hat, dass sie da raus gehen wird.
Und langsam, ganz langsam setzt sie sich in Bewegung. Sie schaut sich um und entdeckt auch gleich was zum Aufpicken und Graben. Sie tut draußen das, was Hühner eben so machen. Sei pickt und scharrt, sie pickt und scharrt. Und dabei wandert sie immer weiter, die ganze Allee entlang, an der Bushaltestelle vorbei, überquert die Straße (sehr eigenartig, dieser Weg, so hart und unangenehm spürt sich das auf den Krallen an) und findet gottseidank wieder eine Wiese, auf der sie weitere Köstlichkeiten aller Art findet.
Doch plötzlich spricht sie jemand von oben herab mit einer sehr tiefen Stimme an: „Nanu, wer bist denn du?“ Rosa schaut hoch hinauf und antwortet: „Ich bin die Rosa, und wer bist du?“ „Ich bin Pablo, ich bin ein Pferd!“ Pablos Fell ist grau und hat lauter schwarze Punkte darin. Er hat eine lange graue Mähne und ist wirklich riesig groß, findet Rosa.
„Kannst du fliegen?“ fragst sie ihn. „Nein, aber ich kann sehr schnell laufen! Und ich trage die Menschen auf meinem Rücken.“
„Trägst du auch Hühner auf dem Rücken?“ fragt Rosa. „Das hab´ ich noch nie gemacht, aber klar, warum nicht?“ Rosa setzt zum Sprung an, öffnet ihre Flügel und flattert auf Pablos Rücken. Und sobald sie oben sitzt, setzt sich Pablo in Bewegung. „Es schaukelt, das ist sehr lustig!“ ruft Rosa Pablo zu.
„Magst du es noch schneller?“ fragt Pablo. „Ja, klar!“ ruft Rosa zurück. Da beginnt Pablo zu laufen. Immer schneller, bis er so richtig durch seine Koppel galoppiert! Rosa krallt sich tief in Pablos Fell. Immer wilder schaukelt sie auf seinem Rücken. Doch bald findet sie ihr Gleichgewicht. „Wohooo!“ ruft Rosa „das ist spitzenklasse!“
Nach 3 Runden wildem Galopp wird Pablo wieder langsamer und kommt beim Zaun zum Stehen. Rosa flattert wieder auf die Wiese. Sie fühlt sich ein bisschen schwindelig, aber gleichzeitig total wach und lustig. „Vielen Dank, Pablo. Ich denke, ich geh´ jetzt mal nach Hause. Berta wird sich schon Sorgen machen!“
„Na dann. Auf Wiedersehen, liebe Rosa. Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen! Vielleicht sehen wir uns ja bald wieder?“
„Au ja!“ antwortet Rosa. „Ich komme dich bestimmt bald wieder besuchen! Aber jetzt muss ich los! Auf Wiedersehen!“
Rosa macht sich auf den Weg. Sie geht einfach immer weiter geradeaus. Aber ob sie aus dieser Richtung gekommen ist? Irgendwie kann sie sich auf einmal an gar nichts erinnern. Dieser Baum kommt ihr auch nicht bekannt vor. Und dieses Haus? War sie da schon mal?
Rosa bemerkt, wie müde sie geworden ist. Sie beschließt, eine Pause einzulegen. Und so sucht sich Rosa einen schönen Apfelbaum aus, hockt sich darunter und legt ein Ei. Dabei gackert sie sehr laut, wie das Hühner eben tun, wenn sie ein Ei legen.
Hinter dem Apfelbaum steht ein Haus, in dem Markus wohnt. Markus geht jeden Tag ins Storchennest. Als er Rosa draußen gackern hört, wundert er sich. Normalerweise hört er die Hühner nicht in seinem Haus gackern.
Markus geht in den Garten, öffnet die Gartentüre und was entdeckt er da unter dem Apfelbaum? „Ja was machst denn du hier?“ fragt er Rosa. Er hebt sie behutsam auf und bringt sie zurück ins Storchennest. Dort sieht er die offene Türe. „Ah, da hat wohl jemand vergessen, die Türe zuzumachen!
Er setzt Rosa in ihrem Hühnerstall ab und verriegelt die große Gittertüre.
Im Hühnerstall wartet Berta bereits voller Sorge auf Rosa. „Ja sag du mir, wo hast du denn gesteckt? Ich hab dich überall gesucht! Ja, was glaubst denn du, dass du so einfach verschwinden kannst, ohne mir was davon zu sagen?“ schimpft sie.
Rosa aber kann Berta gar nicht mehr hören. Sie hat sich in das warme Stroh gekuschelt und ist sofort und auf der Stelle eingeschlafen. Morgen wird sie Berta von Pablo erzählen.
Was glaubst du, wird Berta Rosa beim nächsten Ausflug begleiten?